Bedürfnis nach Freiheit und Sicherheit

Ein wichtiger Aspekt bei der Suche nach einer neuen beruflichen Aufstellung ist neben der Untersuchung der eigenen Interessen und Fähigkeiten, die Frage nach den Wünschen und Bedürfnissen. Was brauche ich, um glücklich zu leben? Welche beruflichen Tätigkeiten und deren Rahmenbedingungen erfüllen mir meine Bedürfnisse größtmöglich? Was fehlte mir während meiner Karriere immer, was mir eine neue Berufstätigkeit erfüllen kann?

Nicht selten erscheinen bei der Beantwortung dieser Fragen Wünsche, die sich zu widersprechen scheinen, so beispielsweise das Bedürfnis nach Freiheit und gleichzeitig nach Sicherheit (insbesondere bei denjenigen, die eine Familie haben). Wie sollen diese entgegengesetzten Bedürfnisse beide gedeckt werden?

Hilfreich bei derart widersprüchlichen Bedürfnislagen ist das Modell des Inneren Teams (u.a. Friedemann Schulz von Thun, Hal & Sidro Stone: Voice Dialogue,). Die Vorstellung, dass wir aus vielen Teilpersönlichkeiten bestehen, die in unterschiedlichen Situationen stärker nach außen wirken, findet hier ihren Niederschlag. Identifizierbar sind diese inneren Teammitglieder besonders deutlich in Situationen des Haderns und der Unentschiedenheit. Die sich widersprechenden Argumente können verschiedenen Teilpersönlichkeiten zugeordnet werden, die bei jedem Menschen absolut individuell sind. Häufig gibt es einen inneren ‚Kritiker’ und einen freiheitsliebende Anteil, da findet sich ein stolzer Anteil (die innere ‚Diva’) und ein ängstlicher Anteil. Wenn eine Berufsidee im Raum steht, wird jeder Anteil eine Haltung dazu einnehmen. Aus psychologischer Sicht sind Entscheidungen nur tragfähig, wenn sie von allen Teilpersönlichkeiten mitgetragen werden. Dafür braucht es manchmal eine Art „Deal“. Wenn z.B. der kritische Anteil den Beruf des Lehrers plant, wird der freiheitsliebende Anteil das so lange sabotieren bis ihm im Gegenzug z.B.: parallel weitere künstlerische Arbeit oder regelmäßige, abenteuerliche Reisen versprochen werden. Der ängstliche Anteil ist eventuell einverstanden, da das Lehramt ihm viel Schutz und Sicherheit verspricht. Die ‚Diva’ aber bekommt Panik, dass sie nun nur noch in Klassenräumen auftreten kann, insofern gilt es auch ihr Rechnung zu tragen und vielleicht ein herausragendes Schultheaterprojekt oder eine ehrenamtliche Festivalleitung anzustreben. Im Bewusstsein dieser Anteile lassen sich Entscheidungen verantwortungsvoll treffen ohne ins Schlingern zu geraten.

So können auch scheinbar komplett entgegengesetzte Bedürfnisse integriert und befriedigt werden. Solange dies nicht geschieht, ist die Gefahr in eine Blockade zu geraten groß. Deshalb halte ich es für einen Transitionprozess enorm wichtig, sich ehrlich mit allen Teilen der eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen und anzufreunden. Sie alle gehören zur Gesamtpersönlichkeit und lassen sich nicht herausdrängen. Gerade die Teilpersönlichkeiten, die wir nicht sehen wollen, werden wichtige Schritte so lange sabotieren, bis sie integriert werden.

nach: Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden 3: Inneres Team und situationsgerechte Kommunikation. Rowohlt-TB, 1998, 25. Aufl. 2016
Stone, Hal & Sidra: Du bist viele; Heyne-TB, 1994

(Heike Scharpff, veröffentlicht im Newsletter der Stiftung TANZ, Juli 2017)